Bye Bye Bündner Edelhahn ...


Wie im wahren Leben muss man auch im Geschäftsleben das Ego manchmal zurückstellen und der Vernunft ihren Raum geben. Das Projekt des «Bündner Edelhahns» ist Vergangenheit!


Der Journalist Nicolas Leuenberger hat sich nun dem Thema gewidmet, und sich mit seinem neuen Podcast «Abverheit», dem Thema des «Scheiterns» angenommen. Ueli Heinrich und ich haben ihm natürlich sehr gerne die Geschichte des «Bündner Edelhahns» erzählt. Interessierte finden den Podcast zum nachhören hier.



Was hat uns zu dieser Entscheidung bewogen?


Gemeinsam mit einigen Bauern 1*) haben ich in den letzten sieben Jahren ein Projekt geschaffen, Poulet (Hahn & Henne) so zu produzieren, wie sich das die Mehrheit der Konsumentinnen und Konsumenten bestimmt wünscht. Das Tierwohl hat vom Ei bis auf den Teller oberste Priorität. Mit der unkonventionellen Trockenschlachtung und der mehrwöchigen Reifung konnten wir sogar die anfängliche Skepsis der Wissenschaft widerlegen und so dem Projekt noch die Krone aufsetzen.



jungedelhaehne

Amrock-Hähne im Albulatal


Unsere Quintessenz:


Das Ergebnis ist grossartig, man kann Poulet nach höchsten qualitativen, ethischen und nachhaltigen Kriterien produzieren. Und das sogar ausschliesslich mit Schweizer Futter – wohlgemerkt, auch das Mastfutter ist sojafrei.


Und gerne zitiere ich die Zeilen eines Restauranttesters: Ein Edelhahn hat mehr Geschmack, als ein ganzer Hühnerstall!


Unsere ernüchternde Erkenntnis ist jedoch, dass es gegenwärtig wirtschaftlich noch nicht tragbar ist, Poulet nach diesem Standard zu produzieren. Der Preis müsste pro Kilogramm mindestens CHF 60.00 betragen.



Was ist uns wichtig?


  • Vom Ei bis (fast) auf den Teller: Vom Brüten der Eier bis hin zur Schlachtung und Reifung, der Rezeptentwicklung und der Weiterzüchtung der alten Landrassen kommt in diesem Projekt alles aus einer Hand.


  • Der Edelhahn wird nur einmal im Jahr, also im natürlichen Lebensrhythmus eines Huhns, produziert. Im Frühling schlüpfen die Kücken, Ende Jahr gibt es dann grossartiges Fleisch. Eine Philosophie, die auch dazu anregen soll, weniger, dafür hochwertiges Fleisch zu geniessen.


  • Die Herdengrösse beschränkt sich auf max. 80 Tiere – warum nicht mehr? Wir haben herausgefunden, dass die Haltung einer grösseren Anzahl von unkastrierten Hähnen nicht möglich ist, da ein Teil der Hähne ab der Geschlechtsreife (nach 16-18 Wochen) aggressiv werden kann. Falls es dennoch dazu kommt, kann der Bauer kleine Herden problemlos so zusammensetzen, dass keine Machtkämpfe mehr stattfinden. Unsere Erfahrungen zeigen zudem, dass die Tiere ab einer Herdengrösse von ca. 100 Tieren keine Gemeinschaft mehr untereinander aufbauen können. Selbst, wenn sie wie bei uns doppelt soviel Platz haben, als von den Schweizer Bio-Richtlinien vorgeschrieben.


  • Die Kalkulation der Produzenten wurde in Zusammenarbeit mit der landwirtschaftlichen Betriebsberatung vom Plantahof erstellt.


  • Ein Edelhahn soll von Kopf bis Fuss verarbeitet werden. So reicht ein Tier für mind. 6-8 Personen (das belegen die Rückmeldungen von Köchen und Privatkunden).



  • jungedelhaehne

    Sulmtaler Hahn und Henne im Albulatal


    Wo liegen die Knackpunkte?


  • Auch mit einem Mikroprojekt wie dem «Bündner Edelhahn» ist man verpflichtet, die selben Auflagen zu erfüllen wie die Pouletindustrie – technisch (Schlachtraum, Kühlraum, Verarbeitungsraum inkl. sanitärer Infrastruktur usw.) wie auch administrativ (Erstellung und Betreuung des Selbstkontrollekonzept, zudem Probenahmen, Schlacht- und Gesundheitsmeldung bei jeder Schlachtung usw.).


  • Warum nicht kastrieren? Eine Kastration muss von einem Tierarzt durchgeführt werden, und kostet pro Tier ca. CHF 30.00. Die Kastration, verursacht zudem Nebengeräusche, da die Tiere betäubt werden müssen. Die Studie eines österreichischen Projektes hat gezeigt, das vier der fünf gängigen Betäubungspräparate einen Beigeschmack im Fleisch hinterlassen. Beim fünften Präparat ist das nicht der Fall, dafür wachen rund 2/3 der Tiere nicht mehr auf.


  • Das Futter selbst, nur «Bio Schweiz» und antibiotikafrei, hat natürlich ebenfalls einen anderen Preis als Importfutter aus Übersee.


  • Das Wachstum verlängert sich bei den alten Landrassen um das Sechs- bis Achtfache gegenüber einem normalen Poulet, und die lange Lebenszeit schlägt sich natürlich auf die Futterkosten nieder. Ein Edelhahn erreicht ca. 3 kg Schlachtgewicht, eine Henne 2 bis 2.5 kg.


  • Die Futterverwertung der alten Landrassen ist zudem eine langsamere, unter anderem auch, weil sich die Tiere viel im Freien bewegen und nicht auf Mast gezüchtet sind.


  • Die ethische und stressfreie Schlachtung benötigt viel Zeit: Nur acht bis zehn Tiere werden in einer Stunde von den dafür geschulten Bauern selbst geschlachtet. Dies liegt natürlich im Interesse der Produzenten selbst, weil sie bis und mit dem Tod ihrer Tiere nur das Beste für sie möchten.


  • Warum Trockenschlachtung? Sobald ein Tier bei der Schlachtung mit Wasser in Berührung kommt, ist eine mehrwöchige Reifung (bei uns bis zu 32 Tage) nicht mehr möglich. Pouletfleisch, das langsam und mit viel Bewegung aufgewachsen ist, braucht jedoch diese Reifung, vergleichbar mit einem Rind, damit es zart wird und seinen Geschmack voll entwickeln kann. Sprich: Die Edelhähne werden also nicht, wie generell üblich, ins lauwarme Wasser getaucht und anschliessend in einer Art Tumbler gerupft. So verarbeitetes Pouletfleisch wäre auch nur wenige Tage haltbar. Die Trockenschlachtung ist zwar Handarbeit, hat jedoch den weiteren Vorteil, dass die Umwelt mit keinen zusätzlichen Abwässern belastet wird.


  • Der Preis pro Kilogramm war in der Saison 2017/2018 auf CHF 52.00 festgelegt, davon gingen CHF 42.00 direkt an die Produzenten. Damit der Bauer nach den gemeinsam erarbeiteten Kriterien produzieren kann, benötigt er CHF 45.00 pro Kilogramm. Dazu kommen dann die Kosten für den Reifungsraum, Verpackung, gekühlte Logistik, Hygienekonzept (GHP), Administration und Vermarktung. Der Verkaufspreis müsste also in der nächsten Saison mindestens bei CHF 60.00 liegen. Es hat sich leider gezeigt, dass die Schmerzgrenze zurzeit bei CHF 50.00 erreicht ist, und es noch zu wenige regelmässige Abnehmer gibt, um das Projekt wirtschaftlich und nachhaltig weiterzuführen.


  • Der Bauer bekommt für die Aufzucht des Bündner Edelhahnes keine Direktzahlungen. Er muss also wie jeder andere Unternehmer kalkulieren.


  • Der Edelhahn in der Küche: Kocheigenschaften, Geschmack und Konsistenz unterscheiden sich massiv vom konventionellen Huhn. Die Kochtechniken müssen selbst von Profis wieder erlernt werden, und Profi wie Konsument müssen sich erst wieder an den intensiven Geschmack und die festere (nicht zähe) Konsistenz des Fleisches gewöhnen. Durch das langsame Wachstum der Tiere, hat das Fleisch jedoch auch einen viel höheren Sättigungswert.


  • Für die Weiterführung des Projekts würden für dieses Jahr verschiedene Investitionen anstehen (u.a. CHF 180.000.- für einen Schlacht-, Reifungs- und Verarbeitungsraum), die unter dieser Voraussetzung leider nicht tragbar sind.



  • jungedelhaehne

    Die Edelhahnreifung


    Wie geht es nun weiter?


    Ich bin überzeugt, dass diese Geschichte in einigen Jahren funktionieren wird. Das Know-how dafür haben wir zu einem Grossteil bereits erarbeitet, und Papier ist geduldig. Doch ganz besonders Poulet und Eier gehören heute zu jenen Produkten, bei denen die Herdengrösse wohl den grössten Einfluss auf den Preis hat.


    Manchmal muss man einen Schritt zurück machen, um später wieder zwei Schritte vorwärtszugehen. Oder anders gesagt: Für ein Revival dieses alten Handwerks ist jetzt leider noch nicht der richtige Zeitpunkt.


    Einen ganz besonderen Dank allen, die das Projekt so grossartig unterstützt und mitgetragen haben.


    1*) Ueli Heinrich, Sabina Heinrich Tschalér, Andrea Accola (alle Albulatal), Alexander Juon (Safiental).



    Das wird darüber berichtet:


    Salz & Pfeffer (22.Juni 2018) – Vernunft über Herz


    20 Minuten (22.Juni 2018) – 65 Franken fürs Poulet sind Schweizern zuviel



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